Neben den Mitgliedern von „el camino“ kam Ende des Jahres 1989 und zu Beginn des Jahres 1990 spontan und dementsprechend unorganisiert eine Anzahl von Menschen zusammen, die in Jena Dritte-Welt-Arbeit (wie man damals sagte) machen wollte.
Nachdem die DDR so gut wie beseitig war und die Wiedervereinigung anstand, wurde uns klar, dass Jena bald eine gewöhnliche bundesdeutsche Stadt wie jede andere sein würde. In jeder Kommune der alten Bundesländer, die wir inzwischen besucht hatten, gab es einen Dritte-Welt-Laden, zugehörige Vereine und Städtepartnerschaften.
Warum sollte es in Jena anders sein?
Die Initialzündung für alles, was danach kam, war die schnell und überraschend voll-zogene Okkupation des ungenutzten Ladens „Saatgut Chrestensen“ – der Eigen-tümer war nach Erfurt umgezogen. Jemand aus unserer Gruppe hatte die Schlüssel für die Räume besorgt, die wir in nachmittäglichen und nächtlichen Einsätzen zum Jenaer Eine-Welt-Laden umbauten.
Keiner von uns hatte auch nur den geringsten Schimmer vom Handel. Was uns zusam-menhielt und vorantrieb: wir wollten den Gedanken der Solidarität mit den Ländern des Globalen Südens in unsere neue Welt hinüberretten. Denn der in der alten BRD seit Jahren etablierte Faire Handel hatte gezeigt, dass das Zahlen gerechter Preise für Produkte aus „Entwicklungsländern“ – von Kaffee über Kunsthandwerk bis zu Textilien – zur Beseitigung von Ausbeutung, Abhängigkeit und Ungerechtigkeit beitragen kann. So hing in unserem Schaufenster dieses Schild: „Eure Almosen könnt Ihr behalten – wenn Ihr gerechte Preise zahlt!“.
In der Rückschau erstaunt es mich noch heute, wie locker wir mit allen Schwierig-keiten fertig geworden sind. In Ermangelung einer angestellten Verkaufskraft lösten wir uns in unserer Freizeit hinter dem Ladentisch ab. Immerhin hatten wir eine behördliche Verkaufsgenehmigung und haben Monate später ordentlich die Miete für den Laden bezahlt.
Unser Warenangebot sprach viele Käufer an, wir trafen also auf offenbar lang gehegte Bedürfnisse. Deswegen war der Nachschub oft ein Problem, ohne Internet und ange-sichts von im Osten noch nicht etablierter Strukturen der Fair-Handels-Organisationen wie GEPA oder El Puente. So mussten wir manche Kunden mit dem altbekannten „hammwa nich“ abspeisen. In den ersten Monaten fuhren Mitglieder unserer Gruppe im geliehenen VW-Bus nach Hessen oder Bayern, um dort Waren einzukaufen – immer mit dem Ziel, zur Ladenöffnung wieder in Jena zu sein.
Was als spontane Ladenbesetzung und als Abenteuer begann, war wenig später ein ernsthaft betriebenes Einzelhandelsunternehmen und bald der umsatzstärkste Weltladen in den neuen Bundesländern.