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Durch Vermittlung einer Nicaraguanerin, die in den 1980er Jahren in Jena studiert hatte, lernen wir das Dorf „El Ocote“ kennen. Es liegt im Norden Nicaraguas, nahe der Stadt Matagalpa, auf einem nur über schmale Pfade und eine unbefestigte Straße erreichbaren Berg. Entsprechend marginalisiert und einfach lebten dort einige Kleinbauernfamilien.

Wie so häufig auf dem Lande und zu dieser Zeit, hatten die Menschen kleine Holzhütten, bei vielen waren die Dächer in schlechtem Zustand und nicht regendicht.

Mit vom Nicaragua-Verteilerrat zur Verfügung ge-stelltem Geld konnten wir ihnen Zinkbleche finan-zieren. Sie wurden in Matagalpa gekauft, auf dem Rük-ken in das Dorf getragen und in Eigenleistung auf die Hütten gesetzt.

Für viele von uns waren die Aufenthalte in El Ocote die ersten Begegnungen mit der Einfachheit und der Armut in den ländlichen Regionen. Wir begegneten dort eben-so stillen wie fremdenfreundlichen Menschen: Sie nah-men uns auf und verpflegten uns, problemlos wurde die kleine Dorfschule zum Übernachten für uns freige-räumt.

 

 

 

Was uns allerdings erst nach und nach, vielleicht erst hinterher bewusst wurde: Wir befanden uns am Rande eines Kriegsgebietes. Zwar war der von den USA finanzierte Contra-Krieg mit einem Friedensvertrag und der Wahlniederlage der FSLN im Jahr 1990 beendet. Viele der demobilisierten Contra-Söldner wie auch inzwischen ent-lassene Soldaten der nicaraguanischen Volksarmee sahen sich jedoch durch die nun-mehr im Amt befindliche rechtsgerichtete, neoliberale Regierung unter Violeta Chamorro betrogen. Denn wiewohl ihnen im Gegenzug für das Niederlegen der Waffen ein Stück Land oder ein Kredit für den Beginn wirtschaftlicher Aktivitäten zugesichert worden waren, mussten sie nun feststellen, dass die Regierung diese Zusagen nicht einhielt.

Die Mehrzahl dieser Enttäuschten hatte während der Revolution und in den 1980er Jahren nichts anderes als das „Kriegshandwerk“ erlernt - und sie hatten gesehen, dass ihre Forderungen am ehesten wahrgenommen werden, wenn sie von Gewaltakten begleitet werden.
So machten bald Banden aus „recontras“ oder „recompas“ (compa=compañero= revolutionärer Kämpfer) den Norden Nicaraguas mit Überfällen, Sprengstoff-anschlägen, Straßensperren, Entführungen unsicher. Da die ehemaligen Kriegsgegner erkennen mussten, dass beide Seiten gleichermaßen betrogen worden waren, schlossen sich einige von ihnen zu „revueltos“ (Rühreier) zusammen.

Uns ist nichts passiert.