Ein Grund dafür sind die bereits erwähnten extrem hohen Portogebühren für Pakete nach Nicaragua. Hinzu kommt, dass viele Vereinsmitglieder in den Jahren nach der Wende Jena verlassen müssen oder wollen und so die Bindung an den Verein verlieren. Den verbliebenen Aktiven fehlen Kraft, Zeit und Motivation, sich unter den geänderten Rahmenbedingungen (komplizierte Stiftungsanträge und Abrechnungen, aufwändige Öffentlichkeitsarbeit…) zu engagieren. Andere zogen sich desillusioniert zurück.
Ein Resümee der Arbeit von „el camino“, 40 Jahre danach:
Die Gründung des Paketarbeitskreises zu Beginn der 1980er Jahre war ein spontaner, kein planvoller Akt. Wir kamen angesichts der eindrücklichen persönlichen Schilderungen von Hans de Boer zusammen, wollten unser Scherflein zur Beseitigung globaler Ungerechtigkeiten beitragen. Niemand, jedenfalls ich nicht, hatte im Sinn, wohin das alles mal führen sollte.
Die Motivation der meisten Mitglieder der Gruppe war ein caritativer Ansatz, das Bedürfnis, das Leid von Menschen in armen Ländern zu lindern. Mut gemacht hat uns, dass wir eine Gemeinschaft waren und praktisch tätig werden konnten: Sachspenden sortieren, Pakete packen und zur Post bringen.
Wenige von uns verbanden mit diesen Aktivitäten einen politisch-ideologischen Ansatz: die Suche nach dem „Dritten Weg“ zwischen dem westlichen und dem östlichen Block im Kalten Krieg; die Unterstützung einer gerechten Gesellschaft und eines alternativen Wirtschaftssystems in Nikaragua.
Im Rückblick frage ich mich, warum das alles so glatt ging: Wir sind vermutlich an Toleranzgrenzen des Staates gestoßen, indem wir eine von ihm nicht kontrollierte Gruppe bildeten. Wir schickten Dinge wie Schulmaterialien und Kinderkleidung nach Diriamba, deren Preise staatlich gestützt waren und die wir dem Bevölkerungsbedarf entzogen. Wir haben für die Waren, die wir ins Ausland schickten, nie Zoll bezahlt.
Ich habe zwei Theorien: Entweder wir waren zu klein und zu unbedeutend, um Sicherheitsorgane auf uns aufmerksam zu machen oder uns die Arbeit schwer zu machen.
Vielleicht war es aber so, dass auch bei der Stasi Leute saßen, denen unsere vom Mainstream abweichende Art der Solidarität mit Nikaragua sympathisch – oder zumindest tolerabel war.
Stichwort Stasi: wir wenigen, die den Kern der Gruppe bildeten – Uta, Franziska, Tom, Jörn, Christoph – kannten uns so gut, dass wir uns uneingeschränkt vertrauten. In unseren oft bis in den Morgen dauernden politischen Diskussionen gab es keine Grenzen.
Wurden wir von der Staatssicherheit beobachtet? Ich gehe davon aus. Die Abende, an denen wir die Pakete packten oder uns aus anderem Grund trafen, waren offene Veranstaltungen. In unserem Haus in der Quergasse gingen ohnehin Hinz und Kunz ein und aus.
Wenn wir Pakete packten, kamen gelegentlich interessierte Menschen vorbei, die wir nach ein paar Terminen nie wieder sahen. Sollten Sie uns beobachten? Wollten sie eigentlich mitmachen, aber wir konnten sie nicht für uns begeistern? Ich weiß es nicht. Geschadet haben uns die Sicherheitsorgane jedenfalls nicht, nicht einmal behindert. Es ist auch nicht bekannt, dass einer von uns durch seine Mitgliedschaft in unserem Kreis Nachteile erfahren hätte.