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Projekt WeltRaum –

Vorläufiger Sachbericht 2016 und 2017

FAZIT

Generell ist das Konzept aufgegangen, einen Begegnungsort mitten in Jena zu gründen. Die Angebote werden zunehmend wahrgenommen; der WeltRaum ist inzwischen ein zentraler Punkt auf dem „Jenaer Plan“.

UMFELD UND VORGESCHICHTE:

Anfang 2015 entstand aus der Spendenstube Wagnergasse und der Vernetzungsrunde der Flüchtlingsfreundeskreise/AK ‚Welcome’ des Aktionsnetzwerks die Idee, einen festen Anlaufpunkt zu schaffen für alte und neue Nachbarn, für Geflüchtete, die hier ankommen, und für Menschen, die schon lange in dieser Stadt leben.

Als ehrenamtlich arbeitende Gruppe verstetigten wir das Anliegen und verschafften ihm Gehör. Im Laufe des Jahres knüpften wir feste Bande zum Eine-Welt-Haus. Wir arbeiten nun als AK des EWH und übernahmen die vormaligen Ladenräume Ende 2015. Schon im Advent öffneten wir erstmals die Türen des WeltRaums und luden zu offenen Teerunden ein.

Neben der Entwicklung eines Konzepts und der Festlegung auf bestimmte Schwerpunkte wurde auch die Finanzierung zum Thema. Der Gewinn der Jubiläumsauktion 2015 des Jenaer Kunstvereins ging an das junge WeltRaum-Projekt. Mit dieser unkomplizierten und öffentlichkeitswirksamen Kooperation war ein finanzieller Grundstein gelegt. Gleichzeitig war klar, dass es eine verlässliche Geldquelle geben muss, um dieses Projekt wirklich zu wagen und auf feste Füße zu stellen. Das Interesse von Seiten der Stadt Jena an diesem Vorhaben wurde schnell deutlich und eine finanzielle Förderung möglich. Der Antrag an die Beauftragte für Migration und Integration wurde vom Sozialausschuss im März 2016 positiv beschieden. Ab April flossen die Fördergelder, die die Arbeit in den Ladenräumen und dem Seminarraum Unterm Markt 13 möglich machen, Miete und Betriebskosten wurden von April bis Dezember 2016 gefördert. Darüberhinaus bekamen wir Mittel für die Kosten, die durch die Beschäftigung von zwei Bundesfreiwilligendienstleistenden entstehen und für die Ausstattung der Räume bzw. Arbeitsmittel.

REGELMÄSSIGES ANGEBOT IM WELTRAUM: DER AKTUELLE STAND

Seit Anfang 2016 ist der Kern unserer Angebote ganz schlicht die offene Tür: an jedem Wochentag gibt es von 15 bis 19 Uhr Gelegenheit, sich zu treffen, miteinander Tee zu trinken und ins Gespräch zu kommen. Die Anliegen, die dabei im WR ankommen, sind sehr vielfältig:

- Geflüchtete, vor allem aus Syrien, erscheinen regelmäßig und suchen Austausch untereinander, den Kontakt mit deutschen Nachbarn, nach Möglichkeiten, die deutsche Sprache zu üben, nach gezieltem Sprachunterricht, nach Freizeitgestaltung wie Spiele, Bastelangebote und Unterstützung bei Hausaufgaben. Ein entscheidendes Feld ist die Unterstützung beim Umgang mit Behörden und anderen Einrichtungen: das Erklären von Formularen, Vertragstexten, Angeboten, bei der Wohnungssuche, dem Abschluss von Telefonverträgen, der Suche nach Praktika, etc.

- Menschen, die sich für und mit Geflüchteten engagieren wollen, finden im WeltRaum Kontakte, Informationen, Vermittlung

- „Tandems“, d.h. Geflüchtete und ihre deutschen Paten, suchen gemeinsam den WeltRaum auf, um Unterstützung bei schwierigen Fragen zu erhalten/Beratung/etc.

- Gruppen und Initiativen, die in diesem Feld arbeiten, verbreiten ihre Informationen/Einladungen/Gesuche über den WeltRaum und sind dort ansprechbar.

- Verschiedene Initiativen bieten im WeltRaum regelmäßig ihre Beratung an. Von diesen Kooperationen profitieren alle Beteiligten. Wir kooperieren hier mit der Bürgerstiftung (Projekte Ankommenspatenschaften, zukünftig auch Brücken bauen – Gutes tun), RefugeeWorks, dem Medinetz/AKSTe.V., der RefugeeLawClinic und anderen.

- Deutschunterricht findet in unterschiedlichen Konstellationen täglich statt.

- Die Angebote „Begegnung in Bewegung“, Wanderungen und Stromertage für alte und neue Nachbarn, haben ihren inhaltlichen wie praktischen Ausgangspunkt im WeltRaum.

ARBEITSWEISE AK WELTRAUM

Im Arbeitskreis beteiligen sich nach wie vor regelmäßig ca. 20 Menschen zwischen 16 und 70 Jahren. Diese Zahl ist etwa konstant geblieben. Das ist angesichts der großen Welle von Initiativen und einem gewissen Aktionismus in den letzten beiden Jahren eher erstaunlich. Natürlich haben sich auch hier einzelne Personen verabschiedet. Gleichzeitig gibt es regelmäßig neue, meist junge Interessenten, die sich verbindlich engagieren.

Der Arbeitskreis WeltRaum arbeitet ehrenamtlich. Seit Frühjahr 2016 wird die Gruppe durch zwei syrische Bundesfreiwillige bereichert und unterstützt. Besonders Ibrahim Othman spielt eine herausragende Rolle. Er ist die „Seele“ des WeltRaums, ohne seine umsichtige und zugewandte Art, sein Sprachtalent und seinen Erfahrungsschatz wäre der WeltRaum wesentlich ärmer. Das muss auch hier Erwähnung finden.

Mohammad Hasan beendete den BFD nach vier Monaten, um ein Studium an der EAH aufzunehmen.

Die Arbeitstreffen der WeltRaum-Gruppe finden regelmäßig aller 14 Tage statt. In Ferienzeiten erhöht sich der Abstand auf drei Wochen.

ANZAHL DER BESUCHE IM WELTRAUM

Dass Projekte wie der WeltRaum doch eine lange Anlaufzeit brauchen, hatten wir unterschätzt. Anfangs wollte manche Beteiligte der Mut verlassen, denn der Laden „boomte“ nicht sofort. Spätestens seit dem Ende des Sommers aber sind die Räume zunehmend gut besucht, zuweilen sogar überfüllt. Wenn beispielsweise die JenaPlan-Schülerinnen zum Basteln einladen und gleichzeitig Deutschunterricht stattfindet, ist kaum noch Platz für die Teerunde, soll auch die Medinetz-Sprechstunde noch unter guten Bedingungen abgehalten werden. . . .  Nach vorsichtigen Schätzungen gehen wir zwischen April und Dezember von weit über 3.000 Besuchen im WeltRaum aus. Nutzer und Nutzerinnen gehören in alle Altersgruppen und waren zu einem großen Teil gelegentlich bis regelmäßig da.

PLAN VS. REALITÄT

ABWEICHUNGEN VOM FINANZPLAN:

An etlichen Stellen wichen unsere Ausgaben ab von der Planung. Dafür sehen wir verschiedene Gründe. Für niemanden, der sich in den letzten beiden Jahren in diesem Feld engagierte, war die Entwicklung absehbar. Das ist für erfahrene Vereine wie für junge Initiativen zu sagen und gilt selbst für die Verwaltung. Wie der Bedarf in der Realität aussieht, ob gut gemeinte Angebote wirklich funktionieren und nachgefragt werden, welche Anforderungen erst im Laufe der Zeit sichtbar werden und wie darauf zu reagieren ist – das ist nicht zu planen. In einer zeitweise sogar als unsicher wahrgenommenen Situation und angesichts wirklich neuer Herausforderungen an die Gesellschaft gilt das erst recht.

Wir versuchen, daraus zu lernen und unsere Angebote, unsere Arbeitsweise anzupassen, unbrauchbar gewordenen Vorhaben abzulegen und immer wieder aufs Neue zu erspüren, was die Stadt braucht, damit sich alle willkommen fühlen können.

Andere Abweichungen lassen sich leichter erklären:

- Die Elektroinstallation war in allen Räumen des Eine-Welt-Hauses erneuerungsbedürftig und brach schon bei geringer Last zusammen. Für 2016 war die Sanierung geplant. Die KIJ-Schätzung der danach zu erwartenden Mietsteigerung war Grundlage unseres Förderantrags. Leider wurde diese Erneuerung verschoben, konnte aber schließlich im Sommer 2017 umgesetzt werden. Die Mietausgaben blieben deshalb auf bisherigem Niveau.

- Einige Ausgaben konnten wir einsparen, weil wir andere Wege fanden, die nötige Ausstattung zu beschaffen. So wurde die komplette Bestuhlung vom Arbeitskreis Migration der katholischen Pfarrgemeinde besorgt und bezahlt. Einen Kühlschrank und andere Möbel bekamen wir gespendet bzw. bauten sie selbst. Die Ausstattung mit Kissen, Tischwäsche u.ä. unterstützte die Initiative MiniDeckis. Auf die Anschaffung eines neuen Beamers und Bodenbelags verzichteten wir, der Einbau neuer Lampen vor der Elektrosanierung erschien uns unsinnig.

SONSTIGE FÖRDERUNG

Neben der „Grundsicherung“ durch die städtische Förderung erhielten wir Gelder von der Thüringer Ehrenamtsstiftung (Dolmetscherhonorare und Ausstattung) und eine Reihe von privaten Spenden. Die Veranstaltung „Hart an der Grenze/Im Schatten Europas“, Film und Diskussion mit Elias Bierdel, wurde in Kooperation mit dem StudierendenRat der FSU ausgerichtet und ermöglicht durch den Fonds Soziokultur der Stadt Jena sowie das Förderprogramm Politische Bildung von Engagement Global.

ARBEITSPLAN

Der WeltRaum hat sich als einer der zentralen Anlaufpunkte im Feld der ehrenamtlichen Arbeit mit Geflüchteten vorerst etabliert, ist zu einem Schaufenster der zahlreichen Jenaer Offerten geworden und bietet einigen davon auch Raum. Abzulesen ist das an der Art und Anzahl von Sprechstunden und Beratungsangeboten, die hier ihren Ort haben.

Vor einem Jahr plante der AK hoffnungsvoll und ausschweifend eine enorme Menge von Veranstaltungen und unterschiedlichen Formaten.

Viele dieser Angebote finden statt und stoßen auf –teilweise sehr großes – Interesse.

Zitiert nach dem Konzept von Anfang 2016 sind das konkret die Folgenden:

- tägliche Öffnungszeiten (mehrsprachig)

- Angebot von Teerunden und Gesprächskreisen (nach den positiven Erfahrungen der Flüchtlingsfreundeskreise richten sich diese Angebote besonders an separiert lebende Zuwanderer in kommunalen oder eigenen Wohnungen)

- Kurse, Tandems und andere Angebote zum Erlernen v.a. der deutschen Sprache

- medizinische Beratungsangebote (Medinetz-Sprechstunde)

- Organisation praktischer Unterstützung für Geflüchtete (Vermittlung von Patenschaften/Spenden/Transporthilfe)

- Orientierungshilfe für Teilhabe am sportlichen und kulturellen Leben der Stadt

- Anlaufstelle für Menschen, die sich auf diesem Feld engagieren wollen

- Wegweiser für Beratungsangebote u.ä.

- Vermittlung von Übersetzungshilfen

- Filmvorführungen

- Angebote für Kinder und Jugendliche: Hausaufgabenhilfe, Leseförderung, Spiel- und Bastelnachmittage, . . .

- „Schaufenster“ für die vielfältigen Jenaer Offerten

- Versammlungs- und Veranstaltungsraum für assoziierte Gruppen und Vereine: RELATE, LeseEulen, Asyl e.V., Medinetz, Flüchtlingspaten Syrien e.V.,

- kulturelle und künstlerische Aktivitäten

Darüber hinaus

haben sich Kooperationen und Veranstaltungen ergeben mit der Bürgerstiftung, dem Studierendenrat, der RefugeeLawClinic, der Asylothek, dem Thüringer Heimatbund und anderen.

Im April renovierten der Arbeitskreis und regelmäßige Besucher gemeinsam den WeltRaum. Die drei Räume wurden hell gestrichen und neu eingerichtet

Was nicht gelang

Eine Reihe von Ideen, mit denen wir Anfang 2016 an den Start gingen, mussten wir inzwischen verabschieden. Wie in vielen anderen Projekten auch, wirkt gerade bei ehrenamtlicher Arbeit eine spezielle Dynamik: manche Vorhaben erwachsen aus Wünschen und Vorlieben; Nachfrage und Nutzen werden nicht geprüft. Beispielsweise verfolgten wir lange die Idee, Kinderkrabbelstunden einzurichten und unternahmen einige Mühen, dies auch technisch im WeltRaum zu ermöglichen. Leider nahm einerseits die Arbeit an diesem Vorhaben ab, andererseits zeigte sich, dass es von Seiten der avisierten Mütter kein großes Interesse gab. Wir gaben diesen Plan auf und sind nun mit Refugio und dem Frauenzentrum im Gespräch, welche speziellen Angebote für Frauen und Mütter sinnvoll und gefragt sind.

Auch die Supervisionsangebote der WELCOME- Vernetzungsrunde im Rathaus hatten ihren Ort im WeltRaum. Dass sie nie wirklich angenommen wurden, ist sehr bedauerlich und wird uns weiter beschäftigen. Nach mehreren Anläufen wurde dieses Angebot eingestellt.

Ehrenamtliche Arbeit braucht langen Atem und großes Stehvermögen. Anders als in professionellen Zusammenhängen sind Verbindlichkeiten nie formal herzustellen. Unter anderem lernen wir aus dem letzten Jahr, die Herausforderung, die in der Ehrenamtlichkeit unserer Arbeit steckt, ernster zu nehmen und sie selbst stärker als Experimentier- und Lernfeld anzusehen.

Manche Vorhaben konnten bislang nicht auf den Weg gebracht werden, stehen aber nach wie vor an (wieder zitiert aus o.g. Konzept):

- geschützte Sprachkurse für Frauen (inklusive Kinderbetreuung)

- PC - Kurse

- Filmvorführungen und Diskussionsrunden

- Räumlichkeiten und Unterstützung für migrantische Selbstorganisation

 
AUSBLICK

Das Projekt WeltRaum ist gut etabliert in Jena und wird sich gleichwohl ständig ändern müssen, um Bestand zu haben. Wir wollen es weiterführen und bleiben bei unserem Ziel, ein menschenfreundliches und solidarisches Miteinander zu befördern.

Ganz praktisch hat sich gezeigt, dass der Bedarf an Deutschunterricht/Nachhilfe und an spezifischer Beratung (juristisch, arbeitsmarktorientiert, medizinisch, ganz allgemein zur Orientierung in Deutschland) und Begleitung (Behörden und Ämter/menschlich) enorm ist und eher anwächst.

Die Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen betreuen Geflüchtete, die Asyl suchen. Die schiere Zahl der Menschen und die Komplexität der Probleme scheint aber zu groß für das kleine Team. Darüber hinaus endet formal die Betreuung durch das Sozialamt mit der Erteilung eines Aufenthaltstitels. Immer wieder sehen sich Ehrenamtliche gezwungen, den offen bleibenden Bedarf zu decken. Dies ist weder Ziel noch Anspruch unserer Arbeit im WeltRaum. Wir spüren deutlich die Folgen dieser Lücke und suchen nach konstruktiven Wegen, dem zu begegnen.